Mehr als ein Jahrzehnt nach Alligatoahs Mainstream-Durchbruch ist er mit einem neuen Album zurück. Einer Mischung aus Rap und Metall. Kann das klappen?
So ein Neuanfang kann ganz schön nach hinten losgehen. Überhaupt: Anfangen. Und so ganz mit dem brechen, was Erfolg hat. Brechen mit dem, was funktioniert. München, 25. Januar 2025, Olympiahalle. Alligatoahs Tournee-Halbzeit „Out of Office“ in Deutschland. Eineinhalb Jahre nach seinem vermeintlichen Karriereende, als schlicht auf seinen Social Media Kanälen verkündet wurde: „Alligatoah war ein deutschsprachiger Musiker (1989–2023)“. Was dann 2024 folgte, war ein Album mit dem Namen „Off“, so Heavy fucking Metall, dass die alte Fanbase – Deutschrap gepolt – vergrault sein könnte. Könnte! Was für ein Publikum zu erwarten ist, ist da fast schon spannender als der Auftritt selbst. Wer sind sie? Wacken-Fans? Richtige Metaller, in Kutte? Und ist das, was Alligatoah mit seinem neuen Album versucht, einen Neuanfang, überhaupt wirklich ein Neuanfang?
Also mittenrein ins Getümmel, Alligatoah plumpst von der Decke auf die Bühne in Pelzmantel und Fellschuhen, das Set eine Bürolandschaft. Wie eine Low-Budget Version der US-Serie „The Office“, wie passend: Mockumentary. Ikea-Schreibtisch und Kalax-Regale, Drucker, PC-Bildschirm. Letzteres schnappt er sich direkt, schmeißt es auf den Boden. Zerstörung, wie schön. Dabei geht er im Laufe des Abends recht sorgsam mit den Requisiten um, schmeißt eher halbgar um sich, das ist nicht Rock’n’Roll. Dann sagt er: „Es sind harte Zeiten für Alligatoah Fans, die kein Metall mögen.“PAID Interview Moses Pelham. 8.30
Aaron hat keine harte Zeit. Er ist 19 Jahre alt, Elektrotechnikstudent an der Hochschule München, tanzt jetzt auf dem Oberrang, weiß schon gar nicht mehr genau, wie er Alligatoah-Fan wurde, oder versteht er die Frage nicht, ist laut hier in der Halle, Alligatoah schreit, grölt ins Mikrofon. Aaron jedenfalls, er hört in letzter Zeit Linkin Park, deshalb gefällt ihm das mit dem Metall ganz gut. Auf den Stehplätzen bildet sich derweil ein Moshpit, sieht aber recht zivilisiert aus von den oberen Rängen.
Dann hieß es Durchatmen, Alligatoah wird zum „Mental Health“-Coach, die ganze Halle macht mit, tief einatmen, laut ausschreien – sehr metal. Dann erzählt er, dass er sich Tarot-Karten (die die Zukunft vorhersagen) legen hat lassen, extra für München, für die Show, Überraschung, auf der ersten stand Sex, auf der zweiten Drugs, auf der dritten wieder Sex. Daneben oder genial? Hardcore-Fans würden sagen: Eine Hommage an seine Anfangszeit.
Alligatoahs Aufstieg begann mit in-die-Fresse-Rap
Alligatoahs rise to fame begann in der Band Trailerpark – mit Party-Hip-Hop, eher unpolitsch, aber mit anzüglichem In-die-Fresse-Rap unter der Gürtellinie. Bisschen balla-balla, asi-gaga, auch Frauenfeindlichkeit wurde ihnen vorgeworfen. Alligatoah selbst kritisieren einige hingegen heute als zu akademisch. Und als zu künstlich. Der Vorwurf des Artifiziellen ist natürlich gemein, besonders in diesen Zeiten, in denen das Hyperauthentische hochgelobt wird (reale Erlebnisse, ehrliche Influencer). Doch der Vorwurf ist Quatsch.
Der Mann, der bürgerlich Lukas Strobel heißt, schafft es durch den ständigen Perspektivwechsel einen Mehrwert zu leisten, machmal mehr als es eine einzige „authentische“ Person könnte. Im neuen Album prangert er diese Authentizitätsgier an, indem er in die Haut eines vermeintlich authentischen, sozial engagierten Influencers schlüpft. Im Song „Ich Ich Ich“ singt er: „Mich zu entdecken war ein Geniestreich/ Wer kriegt einen Preis/ Für Bescheidenheit?/ Ich, Ich, Ich!“ Oder meint Alligatoah doch wieder etwas ganz anderes damit? Sich selbst? Man weiß ja nie bei seinen doppeldeutigen Texten. Das Album „Off“ bricht mit dem Zeitgeist in gewohnter Alligatoah-Edgyness.FS Diese Legenden stehen 2025 auf deutschen Bühnen 07.58
Nach etwas mehr als einer Stunde Show ruft er: „Herzlichen Glückwunsch München, wir sind bei den alten Songs angekommen.“ Der Durchbruch gelang ihm viel früher, mit seinem Soloalbum 2013, das sofort auf Platz eins der Albumcharts landete. Der eindrückliche Ohrwurm-Song „Willst du“ (mit mir Drogen nehmen) wurde bis heute über 219 Millionen mal auf Spotify gestreamt – mit diesen absolut nostalgischen Akustik-Gitterren-Riffs, die eine ganze Generation (oder Generationen?) von Jugendlichen aus der Kleinstadt in ein kollektives Großstadt-Drogen-Rummach-Universium katapultierte. Zusammen den Bach runtergehen, weil ein Wrack ein Ort ist, an dem ein Schatz schlummert, eine Zeile aus dem Song. Ist das auch der Leitsatz für das neue Album, für den neuen Alligatoah? Das Lied ist sein vorletztes für diesen Abend.
Ein bisschen Zerstörungswut, ein bisschen Auszeit
Das Publikum jubelt. Online hieß es, es sei ausverkauft, auch sein Management konnte leider keinen Platz für den Autor auftreiben. Dabei war die Halle am Abend halb leer – und übrigens weit und breit keine Kutte in Sicht. Alligatoah hat sich mal wieder krass neu erfunden, zumindest will er das so verstanden wissen. Denn der typisch gesungene Hook, der bleibt er treu. So sehr anders als früher ist seine neue Musik nicht. Und das hinterlässt ein ungutes Gefühl, was man einigen Fans, die größtenteils keine Metal-Fans sind, anmerkt.
Die Musik, Metal mit Rap, das funktioniert schon irgendwie, aber kommt am Ende nicht an seinen alten Hype heran. Die Lieder, die mehr Rap und weniger Metal sind, noch eher. Zumindest gibt er mit seiner Show und seinem Album die beste Antwort für den Neuanfang – als Handlungsanweisung für uns alle, die sich gerne zum Jahresanfang neu erfinden wollen. Ein bisschen Zerstörungswut, ein bisschen Auszeit, ein bisschen Drogen, ein bisschen Mental Health, um zur Erkenntnis zu kommen: Vielleicht ist es doch ganz okay so, wie es mal war.