90 Minuten stritten Kanzler und Oppositionschef im TV-Duell zur Bundestagswahl. Doch wer war besser? Und wem hat es genutzt? Vier Erkenntnisse – und der Liveblog zum Nachlesen.

Der Bundestagswahlkampf 2025 hatte seinen ersten Höhepunkt. In Berlin-Adlershof standen sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Herausforderer Friedrich Merz (CDU) an diesem Sonntagabend beim TV-Duell von ARD und ZDF gegenüber.

Vier Lehren aus dem Schlagabtausch:

Friedrich Merz war angreifbar – aber Olaf Scholz fehlte der Lucky Punch 

Der Kanzler hatte zwei sehr unterschiedliche Halbzeiten. Scholz kam schwer rein ins Duell, versemmelte die Asyldebatte und stand im wirtschaftspolitischen Teil fast durchgehend in der Defensive. Auffällig war, dass der Kanzler in den ersten 45 Minuten kaum eine Möglichkeit fand, Merz mal zu treiben. Und das, obwohl der CDU-Chef schwere Wochen hinter sich hat und gerade auf dem Feld der Migrationspolitik seit seinem waghalsigen Manöver im Bundestag äußerst angreifbar ist. 

Rekonstruktion Merz 6:05

Im zweiten Teil dann trat Scholz so auf, als habe ihm ein Berater über den Knopf im Ohr eingeflüstert, doch mal auf Attacke zu gehen. Kern seines Angriffs: Merz auf dem Feld der Steuerpolitik und Rüstungspolitik zu packen. Und das klappte. Scholz stellte Merz als Kandidat der Besserverdiener hin und als Mann, der überall kürzen würde, um irgendwie die absehbare Lücke im Verteidigungshaushalt zu schließen. „Lächerlich“ argumentiere sein Gegner, schimpfte Scholz in Richtung Merz. Aber was ihm fehlte, war ein echter Lucky Punch. Den hätte es wohl gebraucht, um den Bürgern das Gefühl zu geben: Hier startet jemand gerade seine große Aufholjagd. 

Wenn das Scholz-Team geglaubt hat, die Zweifel an Merz‘ Kanzlereignung an diesem Abend nochmal massiv vergrößern zu können, dann ist das eher schief gegangen. Veit Medick, Leiter stern-Hauptstadtbüro

Merz wirkte sympathischer als viele denken

Friedrich Merz eilt nicht der Ruf eines großen Sympathieträgers voraus. Er gilt den einen als abgehoben, den anderen als gestrig und wieder anderen als freudlos. Ob das im Einzelnen stimmt, sei dahingestellt. Aber mit diesen (Vor-)Urteilen muss Merz leben – und sie sind vermutlich auch Gründe dafür, dass sich gerade nicht Millionen Menschen nach ihm als Kanzler sehnen (obwohl die Performance der Ampel mies war und Scholz unbeliebt ist). 

Infobox Hauptstadt NL

Gemessen daran hat der Kanzlerkandidat der Union am Sonntagabend einen guten Auftritt hingelegt. Er war großzügig – manchmal vielleicht etwas zu gönnerhaft –, aber aus seiner Position der Stärke ließ er Scholz eben auch mal einen Punkt machen. Dass er insgesamt weniger angespannt war, erkannte man daran, dass er oft schmunzelte und auch mal eine spitze Bemerkung machte. 

Und er hatte noch einen Vorteil gegenüber dem Amtsinhaber: Er und seine Berater hatten sich offenbar vorher gut überlegt, welche Punkte sie setzen wollten. Und Merz hat im Gegensatz zu Scholz die Gabe, Sätze so formulieren zu können, dass man ihnen auch folgen kann. Sven Böll, Mitglied der stern-Chefredaktion

Wenn sie nicht Gegner wären, dann könnten sie auch GroKo

Die letzten Aufeinandertreffen von Friedrich Merz und Olaf Scholz ließen ein heftiges Wortgefecht erwarten, einen scharfen Schlagabtausch vor Millionenpublikum. Zur Erinnerung: Merz warf Scholz einmal vor, dass ihm das Kanzleramt mindestens zwei Schuhnummern zu groß sei. Scholz attestierte seinem Herausforderer, ein „Glaskinn“ zu haben.

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Diesmal waren die Kontrahenten vergleichsweise freundlich zueinander, ließen von persönliche Angriffen ab, zeigten sogar inhaltliche Schnittmengen. Das TV-Duell ist ein Hochrisikoformat – jeder Fehler, jede als zu scharf empfundene Äußerung könnte hängen bleiben und das Bild der Kandidaten auf den letzten Metern des kurzen Winterwahlkampfs prägen. Offenbar hatten sich sowohl Scholz als auch Merz darauf verlegt, rhetorisch nicht zu überziehen. Würden Scholz und Merz nicht um das Kanzleramt konkurrieren, hätte man zuweilen den Eindruck gewinnen können, sie würden zusammen in einer Großen Koalition regieren wollen

Beide verteidigten das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, äußerten sich irritiert über die Aussagen von US-Präsident Donald Trump, beschworen ein starkes und geeintes Europa, stellten sich hinter die Unterstützung der Ukraine, forderten ein konsequentes Vorgehen gegen irreguläre Migration, befürworteten Sanktionen beim Bürgergeld und betonten, dass die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden müsse.

Klar, bei den Details lagen Scholz und Merz teils weit auseinander – zeigten in der Sache aber auch viel Übereinstimmung. Florian Schillat, Redakteur im stern-Hauptstadtbüro

Es geht auch sachlich

Wer die letzte Bundestagswoche schaute, könnte zum Schluss gekommen sein, die komplette demokratische Mitte habe ihren Verstand verloren: Nur Beschimpfungen, nur Streit, die reinste Show. 

Grafiken Koalitionsrechner Sitzverteilung 10.55

Das Duell dagegen zeigte: Es geht auch sachlich. Unser Verhältnis zu China wurde nicht diskutiert, ansonsten aber wurde kaum ein großes Thema ausgespart. Von der Migration ging es über die Wirtschaft zur Energiewende bis hin zur Steuerpolitik und dem Ukraine-Krieg. Und siehe da: Es gibt viele Unterschiede zwischen Scholz und Merz, aber eins war auch klar: Da streiten zwei um den besten Weg für das Land. Nicht um die meisten likes auf X. Veit Medick, Leiter stern-Hauptstadtbüro

Das TV-Duell zur Bundestagswahl im Liveblog zum Nachlesen