Peggy Parnass, Gerichtsreporterin, Schauspielerin, Autorin, Filmemacherin und Antifaschistin ist im Alter von 97 gestorben. Sie hinterlässt ein besonderes Vermächtnis.
Die Kämpferin, die sie zeitlebens war, konnte man selbst im hohen Alter und in jedem Moment ihres Daseins spüren. Peggy Parnass war selbst in ihren 90ern noch resolut. Der schick gewordene frühere Arbeiterstadtteil St. Georg war ihre Welt, sobald Peggy aus dem Innenhofgebäude an der Langen Reihe kam, in dem sie viele Jahrzehnte über der Schauspielerin Monica Bleibtreu gewohnt hatte, drehte sich das Leben um sie.
Auf den Tod hatte sie nie Lust verspürt, auch im hohen Alter und in dunklen Momenten nicht. Der Tod war ihr schon im Kindesalter verdammt nahegekommen, als sie auf dem Weg in eines der Vernichtungslager der Nazis gewesen war. Es lohnt sich die Tonaufnahme der Stolpersteine-Aktion anzuhören, in der sie den eigenen Eltern gedenkt. „Wir durften gar nichts: nicht ins Kino, nicht in Schwimmbäder, nicht ins Theater. Wir durften nicht auf einer Parkbank sitzen; das war für Juden und Hunde verboten. Wir durften überhaupt nichts.“ Da erzählt sie, wie ihr Vater sie anweist, beim Abtransport der jüdischen Menschen Eimsbüttels am Rande des im Schritttempo fahrenden Wagens der Gestapo sichtbar vorne zu stehen, damit die Nachbarn sehen, dass die Mörder selbst Kinder haschen. Doch die Bevölkerung guckte bloß, niemand half, keiner schritt ein.
Peggy und ihr Bruder Gady überleben nur, weil sie die Mutter schweren Herzens mit dem Kindertransport nach Schweden evakuierten lässt. Ab 1939 wachsen sie in unterschiedlichen Pflegefamilien auf.
Peggy Parnass kehrte als Antifaschistin zurück
Die Geschichte der Peggy Parnass ähnelt der vieler NS-Verfolgter, und doch ist vieles daran völlig anders. Peggy Parnass kehrte in die Mitte der Täter, der Mitläufer und Wegschauenden zurück. Als Aktivistin, als Künstlerin, als Anklagende, als Liebende.
Das mit der Liebe hatte sie von den Eltern gelernt. Ihr Vater Pudl scheint kein einfacher Mann gewesen zu sein, spielsüchtig und lotterhaft, sie schwärmte dennoch davon, wie die Mutter ihn herzte und ihm an die Brust sprang, wenn er nach langen Nächte zur Familie heimkehrte. Ihr größter Wunsch, sagte sie, sei es gewesen, dass die einander so inniglich liebenden Eltern wenigstens gemeinsam in den Tod gegangen sein mögen. Diesen unbändigen Willen zu lieben, sah sie zeitlebens als wichtigstes Erbe an, das sie bis ins 21. Jahrhundert leuchtend getragen hat. „Ich liebe die Menschen, ich kann nicht anders“, sagte sie.
Peggy ist auch ins Land der Täter zurückgekommen, um etwas zu bewegen und zu verändern. Gerichtsreporterin sei sie deshalb geworden, um den Mördern ins Gesicht zu blicken, wenn diese endlich vor Gericht stehen. Über 100 Mitglieder ihrer Familie wurden in Konzentrationslagern ermordet. „Ich ging ins Gericht, weil ich dachte, mit Reportagen über die Massenmörder einiges verdeutlichen zu können“ sagt sie. „Aber die Nazis im Gericht waren alle Richter, Staatsanwälte und Verteidiger.“ Zwischen 1970 und 1978 schrieb sie Reportagen, darunter über den Frauenmörder Honka, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt. In ihrer Wohnung hortete sie die Relikte dieses Lebens voller Recherchen und Reportagen. Ihre besondere mitfühlende Sicht auf Schwerverbrecher öffnete ihr den Zugang.
Sie war weniger Zeugin als Anklägerin
Peggy Parnass war weniger Zeitzeugin als eine Linke, die ihre Erfahrungen dazu nutzte, politisch wachzurütteln. Fast nebenher schrieb sie aufrüttelnde Texte, die sie selbst nicht mehr in Reden vortragen konnte, aber derer sich junge Aktivistinnen gerne bedienten. Vor die Stolpersteine ihrer Eltern ließ sie einen weiteren ins Erdreich platzieren, auf dem „Die Liebenden“ steht. Es wird ihr Vermächtnis bleiben.