Pilger aus aller Welt kommen zu Ostern zur berühmten Schwarzen Madonna in Altötting. Mit 700 Jahren ist sie nicht mehr ganz rüstig. Sie hat ein jüngeres Double – das sie dennoch nur selten vertritt.

Zehntausende Gläubige pilgern alljährlich zur berühmten Schwarzen Madonna nach Altötting – in Kürze beginnt das Wallfahrtsjahr. Kaum bekannt: Die rund 700 Jahre alte Gottesmutter hat eine Doppelgängerin. Ein Splitter der Original-Madonna, sorgsam eingearbeitet in ihrem Rücken, macht sie zum Gnadenbild-Double.

Holzspan aus der originalen Madonna

Die Doppelgängerin ist mit rund 100 Jahren deutlich jünger. Die bischöfliche Administration beauftragte seinerzeit den Bildhauer Josef Neustifter senior, eine Zweit-Madonna zu schnitzen und den etwa drei bis vier Zentimeter langen Span von hinten in die Figur einzuarbeiten, wie der Altöttinger Stadtpfarrer und Wallfahrtsrektor Klaus Metzl berichtete. 

Zu dem Anlass kursieren verschiedene Versionen. Metzl zufolge war es der Splitter, der sich von der Madonna gelöst hatte – und der so eine Bestimmung bekommen sollte. 

Der Sohn des Bildhauers, Joseph Michael Neustifter, sagte über den Auftrag an seinen Vater Anfang der 1930er Jahre: „Der Zweck der Kopie war der Schutz des Originals während der Zeit des Nationalsozialismus.“ 

Schon 1919 war die Schwarze Madonna zu ihrem Schutz „auf der Flucht“ zeitweilig in Passau untergebracht.

Geheimer Auftrag 

Laut Neustifter war der Auftrag zur Fertigung des Doubles streng geheim. Des Nachts habe sich sein Vater in der Gnadenkapelle einschließen lassen, um unbemerkt eine detailgenaue Kopie der 66 Zentimeter hohen Statue zu schaffen. 

 

Anhand dieses Modells, das heute bei Neustifter im Atelier steht, habe der Vater aus altem Holz – geschnitten aus einer barocken Marienfigur aus dem 18. Jahrhundert – die Kopie mit dem Splitter gefertigt. 

Schon damals dürfte die echte Madonna vom Alter schwer gezeichnet gewesen sein. Darauf lassen Fraßspuren eines – inzwischen nicht mehr aktiven – Holzwurms schließen.

700 Jahre alt – und fragil 

Experten mahnten vor einigen Jahren zum sorgsamen Umgang mit der jahrhundertealten Gottesmutter. „Der Zustand der Skulptur erwies sich als insgesamt wenig stabil“, erläuterte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege das Ergebnis einer Untersuchung im Jahr 2019. 

Die Restauratoren äußerten Bedenken, die um 1330 im Stil der Frühgotik gefertigte Madonna noch Unbilden des Wetters und klimatischen Schwankungen auszusetzen. Für eine Reise zum 100. Jahrestag ihrer „Flucht“ nach Passau rieten sie ab und empfahlen, die Kopie zu schicken. Am Ende reiste doch die Madonna – unter strikten Schutzvorkehrungen, in einer Klimabox. 

Ein Schatz aus Kleidern, Schmuck und Bischofsring 

Über die Jahrhunderte überhäuften Besucher die Gottesmutter mit Kleidern und Geschenken. Ringe, Armbänder und Amulette füllen Vitrinen in der Altöttinger Schatzkammer. Die österreichische Kaiserin Elisabeth „Sisi“ etwa schenkte ihren goldenen Brautkranz; der Ring an ihrem Zepter stammt von Papst Benedikt, es ist sein Bischofsring. 

Rund drei Dutzend Gewänder zählen zu ihrer Garderobe; die Farbe des Kleides orientiert sich am jeweiligen Fest: violett zur Fastenzeit, rot zu Pfingsten, helles Violett für den Advent und Weihnachten. Zur Osternacht trägt sie Weiß. 

Die Restauratoren mahnten zu Vorsicht auch beim Kleiderwechsel zu den kirchlichen Festen. Das Holz der Figur sei teils durch Schädlingsbefall geschwächt, diagnostizierten die Experten. Im unteren Bereich habe sie einen durchgehenden Riss. 

Vorsicht beim Kleiderwechsel

Die dickschichtige Fassung – bestehend unter anderem aus Grundierung und Malschicht – sei teils gebrochen und weise an manchen Stellen eine ungenügende Haftung auf. Bruchkanten stünden teils im Zehntel- bis Millimeterbereich auf, sodass bei unvorsichtigem Wechsel des Gewandes die Gefahr von Abrissen bestehe. 

Am Karsamstag blieb der Kleiderwechsel einmal mehr problemlos: Die Gottesmutter präsentiert sich den Besuchern zum Osterfest ohne sichtbaren Schaden im weißen, mit Goldfäden durchsetzen Gewand. 

Ihre Kopie trägt hingegen zu Ostern ihr Alltagsgewand in Gold und Rot. Sie bleibt wie meist ohne öffentlichen Auftritt auf ihrem Sims im Verwaltungsgebäude.

Stellvertreterin im Corona-Einsatz

In der Corona-Zeit kam dann doch die Stellvertreterin zum Einsatz: Sie wurde in der Basilika aufgestellt für die Gläubigen, die wegen der Abstandsregeln nicht in die enge Kapelle konnten.

Unter Stadtpfarrer Metzl hat die Stellvertreterin weniger zu tun als unter seinem Vorgänger Prälat Günther Mandl. Zum sogenannten Gnadenbildkuss am Aschermittwoch als sehr persönliche Verehrung hatte Mandl teils das Abbild gewählt. Er könne auf dem Weg zur nahen Kirche „St. Magdalena“ als Träger der Madonna stolpern und stürzen – und mit ihm die fragile Gottesmutter, sagte Mandl einmal. 

Metzl wählte hingegen auch am Aschermittwoch die echte Madonna. „Die Leute gehen zum Original“, sagt er. „Wer will schon die Kopie?“ Und: „Wir sind ein lebendiger Wallfahrtsort“ – und eben kein Museum. 

Wie lange kann die prominente Madonna noch erhalten werden – und könnte die Kopie sie ersetzen? Bildhauer Neustifter meint, die Figur könne noch 1.000 Jahre bestehen. Nicht zuletzt würden die Restaurationstechniken besser. Auch der Stadtpfarrer ist ohne Sorge um den Bestand des Gnadenbildes. Die Schwarze Madonna werde bestehen, „bis das Reich Gottes kommt“.