An fast allen bayerischen Gymnasien wird das Fach Latein unterrichtet, viele Gymnasien bieten zudem Altgriechisch an. Warum gilt humanistische Bildung im digitalen Zeitalter weiterhin als wichtig?

Philipp Förster hatte viel Freude am Latein- und Altgriechischunterricht. „Man lernt nicht nur die Sprachen, sondern auch die antike Kultur“, erzählt er. „Außerdem sind die Sprachen schön strukturiert und erschließbar wie eine mathematische Formel.“ 

Besonders gefallen hat ihm die Literatur, darunter die „Ilias“ des griechischen Dichters Homer: „Sie ist ein sehr komplexes, ineinander verknüpftes Werk.“ Da es in verschiedenen altgriechischen Dialekten geschrieben sei, müsse man sich zunächst intensiv einlesen. 

2024 hat Philipp Förster am Maximiliansgymnasium München Abitur gemacht und studiert jetzt Luft- und Raumfahrttechnik an der Ludwig-Maximilians-Universität. Dank Latein und Griechisch könne er sich viele Fachbegriffe in seinen Studienfächern erschließen, sagt der 18-Jährige.

„Wie ein Rätsel, das Schicht für Schicht gelöst wird“

Johanna Scharbert mag die lateinische Sprache sehr. „Für mich ist das Schöne vor allem das Übersetzen“, erzählt sie. „Es fühlt sich so an wie ein Rätsel, das Schicht für Schicht gelöst wird: Erst geht es darum, Wortschatz und Grammatik zu verstehen, um dann den Inhalt zu entschlüsseln.“ Anschließend müsse man das Ganze in gutes Deutsch übertragen.

Auch sonst habe ihr Latein Spaß gemacht, erzählt die 20-Jährige, die am Karolinen-Gymnasium Rosenheim Abitur gemacht hat und nun Medizin studiert. Die Texte über antike Kultur, Geschichte und Weltanschauungen seien mitunter wie eine Zeitreise gewesen, sagt Johanna Scharbert. Besonders in Erinnerung geblieben seien ihr etwa die Briefe des Philosophen Seneca an Lucilius: „Dabei habe ich gemerkt: Die Menschen waren schon immer auf der Suche nach ihrem persönlichen Glück und einem funktionierenden Zusammenleben. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Diese Aktualität fand ich faszinierend.“

Zwölf Prozent der Gymnasien bieten Altgriechisch an

An Bayerns Gymnasien spielt humanistische Bildung noch immer eine große Rolle. Nach Angaben des Kultusministeriums wurde das Fach Latein im Schuljahr 2023/2024 an 98 Prozent der Gymnasien im Freistaat angeboten, Altgriechisch an zwölf Prozent. Im Schuljahr 2023/2024 hätten insgesamt 124.400 Schülerinnen und Schüler in Bayern Latein gelernt, rund 2.700 Griechisch. 

Um sich in der digitalen Welt zurechtzufinden, bräuchten junge Menschen neben Medienkompetenz ein Bewusstsein dafür, was den Menschen ausmache, sagt eine Sprecherin des Kultusministeriums: „Dazu trägt eine humanistische Bildung mit den Fächern Latein und Griechisch bei, die – wie der Name schon sagt – mit den antiken Denkern den Menschen ins Zentrum stellt.“

Mit humanistischer Bildung gegen „Fake News“

Viel von der antiken Literatur, die im Unterricht übersetzt werde, sei bis heute aktuell, findet Harald Kloiber, Vorsitzender des bayerischen Landesverbands im Deutschen Altphilologenverband. Als Beispiel nennt er das Werk „De bello gallico“ („Über den gallischen Krieg“) des Imperators Julius Caesar: „Früher wurde Caesar in der Schule fast ausschließlich als Militärautor gelesen. Heute spricht man eher darüber, wie er versuchte, seine Leser zu manipulieren.“ In Zeiten von „Fake News“ sei Textanalyse eine wichtige Kompetenz.

Ovids „Metamorphosen“, sagt Harald Kloiber, seien das älteste überlieferte literarische Werk, das die Perspektive von Verbrechensopfern einnehme. Der römische Philosoph Seneca habe vor 2.000 Jahren darüber geschrieben, wie man Sklaven ordentlich behandle – und warum man dies tun sollte.

Einen weiteren Vorteil humanistischer Schulbildung sieht Harald Kloiber darin, dass man ein Verständnis für das System Sprache entwickle, indem man sich mit Rhetorik und dem Einsatz von Stilmitteln befasse. Der Berliner Professor für klassische Philologie Stefan Kipf hat vor einigen Jahren erforscht, dass Schüler mit Migrationshintergrund ihre Fähigkeiten im Deutschen verbessern können, indem sie parallel Latein lernen.

Eine Stiftung für humanistische Bildung

Engagiert für altsprachlichen Unterricht und humanistische Bildung in Bayern ist auch die Elisabeth-J.-Saal-Stiftung mit Sitz in München. „Wir führen Veranstaltungen und Wettbewerbe zu humanistischer Bildung durch, fördern Publikationen, Filme und Druckerzeugnisse, die zum Thema passen, sowie auch P-Seminare an Schulen“, sagt Michaela Weigl. Sie unterrichtet Latein und Griechisch am Münchner Maximiliansgymnasium und ist Vorsitzende der Elisabeth-J.-Saal-Stiftung.

Deren „Flaggschiff“ sei der Landeswettbewerb Alte Sprachen, an dem pro Jahr rund 900 Schülerinnen und Schüler der 12. beziehungsweise 13. Jahrgangsstufe teilnehmen. Der Wettbewerb erstreckt sich über zwei Schuljahre. Die erste Runde bildet eine Übersetzungsklausur. Wer zu den 50 Besten gehört, darf im zweiten Durchgang zu einer Textinterpretation antreten.

Kolloquium im Kultusministerium

In der dritten Runde werden die zehn besten Bewerberinnen und Bewerber zu einem Kolloquium ins Kultusministerium geladen. 2023 und 2024 haben es die damaligen Abiturienten Johanna Scharbert und Philipp Förster in die Endrunde geschafft. Johanna Scharbert gehörte zu den drei Landessiegern, denen als Hauptpreis ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes winkt. 

„Wir sind überzeugte Lateiner und Griechen“, beschreibt Michaela Weigl die Motivation der Elisabeth-J.-Saal-Stiftung. „Die Vermittlung der Inhalte der klassischen Texte führt nicht nur ein in die Grundlagen der europäischen Kultur. Sie ist insbesondere wertvoll für die Entwicklung der Persönlichkeit, eines eigenständigen Denkens und Handelns.“ Die Lehrinhalte seien bis heute aktuell. Staatsphilosophische Themen habe beispielsweise Cicero in einer Klarheit behandelt, wie man es heute nicht besser könnte.