Ein Vierteljahrhundert bayerische Fußball-Geschichte neigt sich dem Ende entgegen. Thomas Müller jubelt noch einmal mit der Meisterschale und sagt nach Bierduschen Servus. Mit Witz, aber ohne Wirtz.

Einen hatte Thomas Müller noch. Tropfnass nach Bierduschen und mit einem Ultras-Schal um den Hals sorgte die Bayern-Legende bei den Abschiedsworten nicht für Tränen, sondern in typischer Müller-Manier für großes Gelächter. Mit einem Witz und einer Prise schwarzem Humor sagte der 35-Jährige nach seinem letzten emotionalen Heimspiel im Lieblingsstadion Servus zu den Münchner Fans. Dankbar blickt Müller auf eine bayerische Bilderbuch-Karriere zurück.

Party bis tief in die Nacht

„Ich habe es geliebt, der moderne Gladiator zu sein, die Show natürlich auch ein bisschen. Ich freue mich aber auch auf das, was kommt. Auch wenn das nicht halb so schön sein kann, wie das, was gewesen ist“, sagte Müller. „Jetzt wird gefeiert. Ich liebe Euch alle.“ Die Party endete tief in der Nacht in einem Edellokal in der Alten Börse in der Münchner Innenstadt.

Immer wieder warf Müller an diesem denkwürdigen Abend, an dem die Bayern ihren Kultkicker feierten und über Wunschspieler Florian Wirtz schwiegen, Kusshände in die Luft. Mama Klaudia zückte neben Papa Gerhard das Smartphone, um den bewegenden Moment festzuhalten.

Ehefrau Lisa wurde indes weder im Stadion noch bei der späteren Party gesehen. Im Gegensatz zu einem rätselhaften Meister-Kakadu, den Trainer Vincent Kompany auf das Podest stellt.

„Thomas wird in Kabine und Verein fehlen“

Bei den vielen Bierduschen vor der großen Rasen-Party der Stars mit ihren Familien stand Allesgewinner Müller im Mittelpunkt. Die Club-Granden Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge stießen nach dem 2:0 gegen Borussia Mönchengladbach auf der Ehrentribüne mit einem Bierchen an, während Kapitän Manuel Neuer auf dem Platz Müller als Erster mit Weißbier überschüttete.

„Wir werden ihn alle sehr vermissen“, sagte Neuer über seinen Weltmeister-Kollegen von 2014. „Thomas wird in der Kabine und dem Verein fehlen.“ 

Abgelenkt von allen Feierlichkeiten und Emotionen musste sich Joshua Kimmich den Müller-Witz von einem Mann, dem die Frau auf dem Sterbebett seinen Lieblingskuchen vorenthält, nochmal vom Vater erzählen lassen. So ein Abgang und dieser Humor passe „absolut“ zum Kollegen, sagte Kimmich. „Er wird als Spieler natürlich sehr fehlen, aber auch als Typ, als Mensch.“ Kompany sagte „begeistert“ von der Bedeutung Müllers für den FC Bayern: „Das wird ewig wirken.“

Überholt Müller Kroos?

Das 750. Pflichtspiel Müllers für den FC Bayern war sein letztes Heimspiel. Die Bundesliga-Karriere endet am kommenden Wochenende, wenn es für das Star-Ensemble zur nächsten Feier auf den Rathaus-Balkon geht. Nach einem Vierteljahrhundert bayerischer Fußball-Geschichte ist Müllers Münchner Ära nach der Club-WM vom 14. Juni bis 13. Juli in den USA dann endgültig vorbei. Vielleicht mit einem allerletzten Titel, mit dem Müller den Ex-Teamkollegen Toni Kroos als erfolgreichster Trophäensammler überholen würde.

Und danach? „Ich glaube nicht, dass er aufhört. Ich glaube, er wird noch spielen und dann wird er vielleicht die Welt kennenlernen“, sagte Sportvorstand Max Eberl. „Und dann wird er irgendwann vielleicht hier stehen und wird sagen: Okay, jetzt wäre ich da.“ 

Müller könne beim FC Bayern „fast alle Rollen“ übernehmen, sagte der in Tracht ins Stadion gekommene Sportvorstand Eberl bester Laune. „Er kann Sportvorstand werden, er kann Sportdirektor werden. Thomas Müller ist eine Ikone beim FC Bayern und wenn er irgendwann diesen Weg einschlagen will und kann, dann wird man sehen, was ihn interessiert.“

Harter Wirtz-Poker bahnt sich an

Müller interessiert auf jeden Fall, dass sein Herzensverein weiter Spitzenklasse bleibt. „Ich appelliere an alle, die hier sind in den nächsten Jahren: Reißt Euch den Arsch auf, das ist was Größeres, als ihr Euch vorstellen könnt“, formulierte Müller sein Vermächtnis an andere Bayern-Generationen um Jamal Musiala. 

Zählt zu dieser Riege künftig der Leverkusener Super-Fußballer Wirtz? Angeblich will der 22-Jährige nicht zu Manchester City, Real Madrid oder sonst wem wechseln – sondern nur nach München. Ein harter Ablösepoker bahnt sich an. Es ist die Rede von auseinander klaffenden Vorstellungen von 100 Millionen (Bayern) und 150 Millionen Euro (Leverkusen).

Eberl wich Fragen nach einer angeblichen Einigung mit Wirtz aus. „Das möchte ich aber nicht mit Ja oder Nein beantworten, weil momentan für mich die Meisterfeier und der Spaß heute im Vordergrund stehen und nicht die Saison 25/26“, sagte der 51-Jährige. Man wolle den Kader aber „ein Stück weit verändern“, sagte Eberl, „um dann bei allen drei Titeln anzugreifen.“

Kane küsst die Schale – die Frau hält lieber Abstand

Das ist auch das große Ziel von Harry Kane, der neben Michael Olise als Torschütze für den siegreichen Rahmen zu Ehren des von ihm als „Legende“ gerühmten Müller sorgte. Nach schier endloser Wartezeit küsste er im rot-weiß-goldenen Konfetti seine erste Trophäe. 

„Es war eine Last auf den Schultern, und es ist schön, dass diese nun weg ist“, sagte Englands Nationalmannschaftskapitän, den die Bierdusche trotz Vorbereitung erstaunte. „Es war kälter als ich gedacht hatte, ich habe gefroren, als ich nass war. Meine Frau hat sich danach von mir ferngehalten, weil es so nach Bier gerochen hat.“

Was wird aus dem Kakadu?

Auch der Meister-Kakadu bekam sicher ein paar Bierspritzer ab. Die Porzellanfigur, die die Bayern-Stars bei der Titel-Party vor einer Woche aus dem Nobelrestaurant Käfer mitgenommen hatten, war der überraschende Hingucker auf dem Meister-Podest.

„Die Geschichte kommt irgendwann raus“, sagte Kompany über die Figur, die bei allen Protagonisten ein schelmisches Grinsen hervorrief. Vielleicht wird das Geheimnis am kommenden Sonntag bei der Balkon-Party am Marienplatz gelüftet.