Was wir aus der Amokfahrt eines Deutschen und der Heldentat eines Zugewanderten in Mannheim über uns selbst und die Gesellschaft lernen können.
Deutschland, deine Menschen, denke ich nach dem jüngsten Anschlag in Mannheim. Es war der erste nach den Wahlen, nur unter völlig anderen Vorzeichen: Ein Deutscher ohne Einwanderungsgeschichte, vermutlich mit Affinität zur rechtsextremen Szene, rast mit einer Waffe namens Auto in eine Menschenmenge, die Fasnacht feiern will.
Die ersten Stunden nach dieser schrecklichen Nachricht ist alles wie immer. Menschen in der Gegend sorgen sich, stellen sicher, dass niemand, den man kennt, verletzt wurde. Zugleich versuchen rechtspopulistische Accounts, die Tat zu instrumentalisieren, noch bevor die Hintergründe bekannt sind.
Doch in Mannheim läuft es dieses Mal anders, und dafür reicht eine einzige Information: Der Täter ist ein Deutscher. So ein richtiger Deutscher, einer, bei der die Rechtspopulisten nicht fragen, wie deutsch und seit wann deutsch und ob überhaupt deutsch mit diesem Namen. Es laufen keine Sondersendungen, kein Politiker fordert, man müsse jetzt dies und das … Auch die Bevölkerung gibt Ruhe. Wir sind alle so furchtbar konditioniert durch diese Diskussionen, wie ein Hund, der ein Leckerli bekommt, wenn er Migrationsdebatte bellen kann.
Dabei gäbe es gerade nach diesem Vorfall viel zu reden. Was tun mit Autos in Innenstädten und der Gefahr, die von ihnen ausgeht? Wie kommen wir raus aus unseren Vorurteilen?
Wie aus Mannheim ein Neuanfang werden könnte
Ich lebe seit Jahren um die Ecke von Mannheim, in Heidelberg. Mannheim ist für mich die raue, ungezähmte Geliebte, ohne die ich meine Ehe mit Heidelberg nie so lange ausgehalten hätte. Mannheim hat viele Probleme, aber auch beeindruckende Lösungen für eine Arbeiterstadt. Vor allem ist Mannheim voller Menschen, die direkt aus dem Herzen sprechen. Wie gut, dass diese Stadt, die so hart kämpft, nicht zum nächsten Ort des islamistischen Terrors wurde.
Nun hat die Stadt einen neuen Helden, auch wenn er das nicht sein will: ein Held. Der Taxifahrer A. Muhammad hat Schlimmeres verhindert, als er aus der Warteschlange scherte, nachdem er die Situation erfasst und den Wagen des Angreifers verfolgt hatte. In den ersten Meldungen war er „der Taxifahrer“, später erfuhr man: Er ist ein Mannheimer aus Pakistan. Ein eingewanderter Deutscher, aber deshalb nicht weniger deutsch. Seine Religion habe ihm geboten, zu handeln. „Ich bin kein Held, ich bin ein Muslim.“
Das ist ein Moment, da es erst recht Talkshows und Sondersendungen geben sollte, in denen wir uns fragen können: Wie kommen wir raus aus den üblichen Spiralen nach Anschlägen? Wehe, ein Ausländer oder Eingebürgerter ist ein Täter, dann verdrängt das selbst im Wahlkampf alle anderen wichtigen Themen.
Der Täter ein Muslim, der sich radikalisiert hat? Dieses Klischee hat Platz. Der Retter ein Muslim, der wie die meisten Muslime in Deutschland friedlich mit seiner Familie in seiner neuen Heimat leben will – das ist eine rührende Meldung, und das war’s.
Wie können wir aufhören mit dem Geschrei, das nichts ändert? Mannheim könnten wir zum Neuanfang machen, endlich zugeben: Wir sind Bürger eines Landes, in dem Menschen von überall zu Hause sind. Wir müssen vor Extremisten aller Art geschützt werden; die Vorurteile, die wir in uns haben, schützen uns da sicher nicht. Mit ihnen sind wir nur Spielbälle für die Rechtspopulisten. Ohne unsere Vorurteile könnten wir ein Land sein, das sich neu erfinden und wehren kann.