Der Konflikt zwischen dem mehrheitlich hinduistischen Indien und dem muslimischen Pakistan eskaliert. Was ist passiert? Und: Woher rührt eigentlich der Hass?

Man nehme drei Atommächte, zwei Weltreligionen und einen umstrittenen Flecken Erde. Dass sich Indien und Pakistan (und China) seit Jahrzehnten nicht grün sind, das ist (irgendwie) bekannt. Aber, warum geraten die Nachbarn alle paar Jahre in blutige Auseinandersetzungen? Und was ist diesmal der Auslöser?

Worum geht es beim Konflikt zwischen Indien und Pakistan in Kaschmir?

Die rasant aufsteigenden Staaten balgen sich seit Jahrzehnten um eine Region, in etwa dreimal so groß wie Bayern: Kaschmir. Das ethnisch und religiös diverse Territorium im Himalaja mit seinen rund 15 Millionen Einwohnern ist strategisch enorm wichtig – es liegt im Dreiländereck zwischen Pakistan im Westen, Indien im Süden und China im Norden und Osten. Indien und Pakistan beanspruchen das gesamte Gebiet für sich, kontrollieren seit rund 80 Jahren aber jeweils nur einen Teil, Indien rund die Hälfte. Außerdem kämpfen seit 1989 mehrere muslimische Rebellengruppen teils für die Unabhängigkeit Kaschmirs, teils für den Anschluss der Region an Pakistan.  

Ansprüche von allen Seiten: Die umstrittene Region Kaschmir
© stern/rös / DPA Infografik

Bereits zweimal haben Indien und Pakistan Kriege um Kaschmir geführt und sich zahllose Gefechte um die Region geliefert, Zehntausende sind bereits gestorben. Bis heute hat Indien rund eine halbe Million Soldaten in der Region stationiert. Allerdings überquerten nur selten Flugzeuge oder Bodentruppen die schwer bewachte Demarkationslinie, die die Himalaja-Region in zwei Teile teilt.

Was ist die vergangenen 80 Jahre passiert?

Zum Überblick eine Chronologie der Zusammenstöße der beiden Atommächte in der Grenzregion:

1947: Der erste Krieg um Kaschmir bricht kurz nach der Teilung des indischen Subkontinents in das hinduistische Indien und das muslimische Pakistan nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft aus. Der hinduistische Maharadscha von Kaschmir bittet Neu-Delhi um Hilfe und stimmt einem Beitritt seiner mehrheitlich muslimischen Region zu Indien zu, nachdem Kämpfer aus Pakistan das Gebiet attackiert haben. Zwei Jahre später wird Kaschmir geteilt.1962: China besetzt das bis dato von Indien kontrollierte Aksai-Chin-Plateau im Osten.1965: Indien und Pakistan kämpfen in einem kurzen zweiten Krieg erneut um Kaschmir, bis eine Waffenruhe ausgerufen wird. Separatisten formieren sich unter dem Banner der Jammu Kashmir Liberation Front, die fortan für ein unabhängiges Kaschmir kämpft – mit allen Mitteln.1971: In einem dritten Krieg kämpfen Indien und Pakistan diesmal wegen Islamabads Herrschaft über Ostpakistan, dem heutigen Bangladesch. Neu Delhi unterstützt die bengalischen Unabhängigkeitskämpfer und fliegt Bombenangriffe auf pakistanisches Gebiet. 1984: Indische Truppen besetzen den Gletscher Siachen des Karakoram-Gebirgszuges, der auch von Pakistan beansprucht wird. Es folgt das erste von zahlreichen Gefechten um das abgelegene, unbewohnte Gebiet, bis 2003 ein Waffenstillstand unterzeichnet wird.    1999: Von Pakistan unterstützte Kämpfer überschreiten die umstrittene Kaschmir-Grenze und erobern indische Militärposten in den eisigen Höhen der nordindischen Provinz Kargil. Indische Truppen drängen die Eindringlinge zurück. Der zehnwöchige Kargil-Konflikt kostet 1000 Menschen auf beiden Seiten das Leben.2008: Indien und Pakistan eröffnen das erste Mal eine grenzüberschreitende Handelsroute in Kaschmir.2010: Bei regierungskritischen Protesten im indischen Teil Kaschmirs sterben 100 Menschen.2016: Indien startet im September begrenzte Angriffe auf Ziele im pakistanischen Teil Kaschmirs. Zwei Wochen zuvor hatten Rebellen bei einem Angriff auf eine indische Militärbasis 19 Menschen getötet. Pakistan bestreitet, dass die indischen Angriffe jemals stattfanden. Im November stürmen als Polizisten verkleidete Kämpfer einen indischen Stützpunkt nahe der Grenze und töten sieben Soldaten.2019: Die indische Regierung unter Narendra Modi hebt den bis dahin geltenden weitreichenden Autonomiestatus „seines“ Teils von Kaschmir auf und spaltet ihn in zwei Teilregionen. Entgegen vorheriger Versprechen mischt sich Neu-Delhi seitdem verstärkt in die Politik der muslimischen Region ein, schiebt Wahlen auf, verfälscht Wahlkreise zugunsten von Hindus, inhaftiert Lokalpolitiker. Separatisten agieren zusehends aus dem Untergrund. Im Juni 2024 sterben bei einem Anschlag auf einen Bus mit hinduistischen Pilgern neun Menschen.

… und was in letzter Zeit?

Der seitdem schwelende Konflikt ging kürzlich in die nächste Runde, die Situation eskalierte. Wie kam es dazu?

Dienstag, 22. April: Bewaffnete Angreifer töten auf einer Bergwiese in einer beliebten Urlaubsgegend nahe der Stadt Pahalgam in dem von Indien verwalteten Teil Kaschmirs 26 Menschen, mindestens 17 weitere werden verletzt. Die meisten von ihnen sind indische Feriengäste. Ein Akt des Terrors, für den Pakistan mindestens mitverantwortlich sei, heißt es aus Neu-Delhi. Schließlich habe die Terrorgruppe ausgezeichnete Verbindungen nach Islamabad. Zwar weisen sie dort jede Beteiligung von sich – nur hilft das wenig. Indiens Premier Narendra Modri droht, „unmenschliche Terroristen und ihre Mitverschwörer“ würden „stärker bestraft, als sie sich vorstellen können“.Mittwoch, 23. April: Indien kündigt harte Vergeltungsmaßnahmen an. Neben der Schließung des wichtigsten Grenzübergangs und der Ausweisung aller pakistanischen Diplomaten erklärt Neu-Delhi, den für die pakistanische Landwirtschaft enorm wichtigen Vertrag über die Nutzung der Flüsse auszusetzen. Mit anderen Worten: Sie wollen den Nachbarn das Wasser abdrehen. Die wiederum versprechen, das als Kriegshandlung zu sehen, die „mit dem gesamten Spektrum der nationalen Macht“ beantwortet würde.Donnerstag, 24. April: Indien geht noch einen Schritt weiter. Alle pakistanischen Staatsbürger sollen das Land bis zum 29. April verlassen, Visa hin oder her. Pakistan ordnet seinerseits die Ausreise aller Inder (mit Ausnahme von Sikh-Pilgern) an. Alle Grenzen sollen geschlossen, der Luftraum für indische Flugzeuge gesperrt, der Handel ausgesetzt werden.Freitag, 25. April: In der Nacht kommt es an der Demarkationslinie zum Schusswechsel zwischen indischen und pakistanischen Soldaten. Es gibt offenbar weder Tote noch Verletzte. „Das Leben geht normal weiter“, sagt ein Regierungsvertreter im pakistanischen Teil.

In den folgenden Nächten und Tagen kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Indiens und Pakistans Militär. Weiterhin gibt es keine Berichte über Opfer. Anzeichen einer zunehmenden Eskalation verdichten sich indes.

Montag, 28. April: Indien kauft 26 Kampfflugzeuge aus Frankreich. Die zwischenstaatliche Vereinbarung schließe einen Technologietransfer ein, um Waffen aus indischer Produktion integrieren zu können, teilt das Verteidigungsministerium in Neu-Delhi mit.Mittwoch, 30. April: Pakistan rechnet mit einem unmittelbaren Militärschlag seines Nachbarlandes. Die Regierung verfüge über „glaubwürdige Geheimdienstinformationen“, die besagten, „dass Indien innerhalb der nächsten 24 bis 36 Stunden einen Militärschlag ausführen will“, erklärt Pakistans Informationsminister Attaullah Tahar. Währenddessen schließt Indien den Luftraum für pakistanische Flugzeuge. Betroffen sind alle Flugzeuge, die in Pakistan registriert und von pakistanischen Gesellschaften betrieben werden, Militärflüge eingeschlossen.Donnerstag, 1. Mai: Indien unternimmt mit seiner Marine Seeübungen im Arabischen Meer. Laut eines Sprechers sei das Ziel, Kampfbereitschaft zu demonstrieren und die Fähigkeit, potenzielle Bedrohungen abzuschrecken. Wie viele Schiffe sich daran beteiligen, nennt er nicht. Und auch keine weiteren DetailsSamstag, 3. Mai: Indien stoppt den Import von Waren aus Pakistan. Die Maßnahme sei „im Interesse der nationalen Sicherheit“, heißt es in einer Mitteilung der Generaldirektion für den Außenhandel. Islamabad testet indes nach eigenen Angaben ein neuartiges Waffensystem namens Abdali. Dabei handele es sich laut dem pakistanischen Militär um eine Boden-Boden-Rakete mit einer Reichweite von 450 Kilometern.Montag, 5. Mai: Die pakistanische Armee feuert erneut eine Rakete ab – zu Trainingszwecken und der „Sicherung der Einsatzbereitschaft“, heißt es.Dienstag, 6. Mai: Die nächste Stufe der Eskalation: Indien greift mehrere Ziele in Pakistan an. Bei den Zielen handele es sich um „terroristische Infrastruktur“, erklärt das Verteidigungsministerium in Neu-Delhi. Das pakistanische Militär spricht nach dem Angriff von 26 Toten und 46 Verletzten, darunter seien auch Frauen und Kinder (mehr dazu lesen Sie hier: Indien attackiert Pakistan – Dutzende Zivilisten sterben).Mittwoch, 7. Mai: Nach den indischen Angriffen schließt Pakistan seinen Luftraum für 48 Stunden und droht mit Vergeltung. Das pakistanische Militär gibt auch an, fünf indische Jets über Indien abgeschossen zu haben. Indischen Angaben zufolge sind durch einen pakistanischen Beschuss im indisch kontrollierten Teil der Unruheregion Kaschmir acht Menschen ums Leben gekommen. Zudem seien 29 verletzt worden.

Quellen: BpB; „The Guardian“, BBC; AFP und DPA